Marcus Schwier 2010 Düsseldorf

Das Comeback des Picknicks

Corona verleidet manchem Zeitgenossen den Besuch im Restaurant. Auswärts speisen geht aber auch anders: bei einem Picknick. Der traditionelle Open-Air-Verzehr erlebt in diesen Zeiten eine Renaissance.

Es freut mich, das meine Bildserie „roundabout & straight ahead“ aus dem Jahr 2010 nichts an Aktualität verloren hat. Die Rheinische Post berichtet.

Am Anfang steht eine gute Idee. Ihr folgt ein Plan. Dann wird es ernst: Die Begegnung mit der Wirklichkeit offenbart ungeahnte Abweichungen. Überraschungen tauchen auf – positive wie negative. Wir durchwaten ein Wechselbad von Enttäuschung und Euphorie. Am Ende aber ist alles gut. Meistens jedenfalls. Und je länger das Erlebte zurückliegt, desto besser wird es in unserer Erinnerung.

So war es damals, beim Zelten. Die Vorstellung von grenzenloser Freiheit kollidierte hart mit Regen, Matsch und Mücken. Die Nacht konnte zuweilen kalt werden, das Gas des Campingkochers ausgehen, die Luft der Matratze entweichen. Trotzdem: Es war toll. Der Platz am See, die Leute nebenan, die Sterne am Himmel.

Und jetzt: Der Gedanke, mal wieder anderswo als zu Hause zu essen, stößt auf Hindernisse: Richtig gemütlich wird es wahrscheinlich nicht, bei all den Corona geschuldeten Abständen im Restaurant. Einen größeren Tisch mit ein paar Freunden oder der ganzen Familie zu ergattern, ist schwierig geworden, und überhaupt: Wo Menschen sind, da sind auch Viren.

Plötzlich taucht sie auf, unsere zündende Idee: Wie wäre es mit einem Picknick? Keine Registrierung, freie Platzwahl, frische Luft, kurzum: grenzenlose Freiheit. Ameisen, Sonnenbrand, feuchte Wiese, ausgelaufener Fruchtsaft? Ganz weit weg. Noch.

Anscheinend sind wir mit unserem Einfall nicht die einzigen. Seit Corona erlebt das Picknick, das die Großeltern noch mehr schätzten als die Eltern, eine Renaissance. Die Nachfrage nach Weidenkörben sei gestiegen, heißt es im Gartencenter, findige Dienstleister bieten vermehrt fertig zusammengestellte Menüs zum Mitnehmen an, und der exotische Picknickplatz auf dem Förderturm der Schachtanlage Zollverein 3/7/10 ist wegen der aktuell „erhöhten Nachfrage“ sogar erst ab dem kommenden Jahr wieder buchbar.

Natürlich ist picknicken auch außerhalb von grassierenden Pandemien seit geraumer Zeit ein beliebte Alternative zur geselligen Nahrungsaufnahme in reizvollem Rahmen. In Paris nimmt die altehrwürdige Académie française die Neuschöpfung „pique-nique“, zu Deutsch etwa: eine Kleinigkeit herauspicken, bereits im Jahre 1740 in ihren Sprachschatz auf. Ein noch älterer Beleg für den appetitlichen Begriff findet sich in Tony Willis Abhandlung „Les Origines de la Langue Françoise“ von 1692. Umschrieben wird damit ein gemeinsames Essen, zu dem jeder Teilnehmer eine Kleinigkeit mitbringt und das sowohl drinnen wie draußen stattfinden kann.

Wie auch immer: Die vornehme Zurückhaltung, die in „Picknick“ zum Ausdruck kommt, lässt einen eher nicht an die mitgebrachte Mahlzeit denken, die hungrige und verschwitzte Tagelöhner am Rande eines Feldes verschlingen. Wer also schon im 17. Jahrhundert zu einem Picknick aufbrach, verfügte wohl über ein gewisses Maß an Muße, damit womöglich auch über Geld, und er krönte diesen Luxus mit stilvollem Genuss – oft in der freien Natur, in die es damals vor allem jene hinaus zog, die nicht jeden Tag unter deren Launen zu leiden hatten.

Die Vermutung liegt nahe, dass adelige Jagdgesellschaften schon sehr früh die Annehmlichkeiten eines Imbisses während der Hatz zu schätzen wussten. Und dass es der französische Adel war, der dieser Outdoor-Leidenschaft besonders frönte, ist ebenfalls kein Geheimnis. Doch damit war ziemlich genau 1789 Schluss. In den königlichen Gärten und Parks lustwandelte und picknickte fortan das Volk, während die von ihm angezettelte Französische Revolution etliche Blaublüter ins Exil trieb.

Zum Beispiel nach England. Dort gerät das Picknick im 19. Jahrhundert zu einer opulenten Schönwetter-Veranstaltung, als die gehobenen Stände seinen Charme entdecken. Queen Victoria ist begeistert vom Draußen-Speisen, und es sind längst nicht mehr Kleinigkeiten, die sie auffahren lässt: Die mitgebrachten Tische biegen sich förmlich unter Braten, Pasteten, Kuchen und Obst, dargeboten auf schwerem Sheffield-Silber und überbordenden Etageren.

Uns fällt jedenfalls beim Stichwort „Picknick“ stets ein moderner Klassiker ein, der ausgesprochen britisch daherkommt: Ein flotter Morgan Plus 8-Roadster mit einem verchromten Gepäckträger auf dem Kofferraumdeckel, darauf mit Lederriemen festgeschnallt ein geflochtener Korb, angefüllt mit sorgsam arretiertem Geschirr und Besteck, bunten Servietten nebst einer karierten Decke.

Nun besitzen wir weder den Roadster, noch ergreift uns die Lust, den ganzen Krempel hernach zu spülen. Dennoch darf es durchaus einmal gepflegter zugehen, als man es sonst beim Open-Air-Verzehr von Currywurst, Fischbrötchen oder Pommes im Alltag gewohnt ist.

Der Plan sieht deshalb Folgendes vor: Kleine panierte Hähnchenbrustschnitzel in der Tupperdose mit einer Sauce zum Dippen im verschraubbaren Glas, in dem sich einst Marmelade befand. Sandwiches (benannt nach John Montagu, dem vierte Earl of Sandwich, der im 18.Jahrhundert quasi ein Wegbereiter der Picknick-Kultur war, indem er ein Stück Fleisch zwischen zwei Brothälften klemmte und den Essens-Aufwand damit erheblich reduzierte) mit einem Thunfisch-Kapern-Aufstrich in Frischhaltefolie verpackt. Verschraubbare Gläser, diesmal gefüllt mit einem Mix aus Salaten, die Sauce extra, damit er nicht zusammenfällt. Mundgerecht geschnittene Möhren und Kohlrabi für zwischendurch. Zum Nachtisch werden Äpfel und Bananen eingepackt, deren Reste man getrost der Wildnis überlassen kann. Auf das selbstreinigende Geschirr, das schwedische Tüftler vor Jahren entwickelt haben, können wir somit verzichten. Echtes Besteck dagegen muss sein, ebenso robustes Glas für den Piccolo-Champagner. Das eine kommt anschließend in eine Plastiktüte, das andere wird in die mitgeführten Stoffservietten gewickelt.

Jetzt wird es ernst.

INFO: Picknick ist auch politisch

Grenzüberschreitung Am 19. August 1989 nutzen rund 700 Urlauber aus der DDR das „Paneuropäische Picknick“, das ungarische Oppositionelle in Sopronköhida an der ungarisch-österreichischen Grenze veranstalten, zur Flucht ins nahe Sankt Magarethen im Burgenland. Die Grenzschützer schreiten nicht ein. Es ist die Ouvertüre zum Berliner Mauerfall drei Monate später.

Nationalfeiertag Im Jahre 2000 beging Frankreich seinen Nationalfeiertag mit einem Riesen-Picknick: einer über 600 Kilometer langen rot-weiß-karierten Tischdecke, die von Dünkirchen im Norden bis an die spanische Grenze ausgebreitet war. In den USA ist der amerikanische Unabhängigkeitstag am 4. Juli ein beliebter Tag, um zu picknicken

Skandal 1863 wies der Pariser Salon das Bild des französischen Malers Édouard Manet „Das Frühstück im Grünen“ ab. Es zeigt zwei Frauen mit ihren Liebhabern beim Picknick unter Bäumen – eine von ihnen ist nackt. Nach Protesten wies Kaiser Napoleon III. persönlich die Ausstellung an, das Werk zu zeigen.

Mit einem mittelschweren Rucksack und einer 1a-Öko-Bilanz geht es an einem spätsommerlichen sonnigen Samstag-Vormittag in den Wald. Die Freunde haben zum verabredeten Treffen auf einer Lichtung auch noch Pappbecher mit heißen Kaffee in der Thermoskanne mitgebracht, was uns daran erinnert, dass es einen weiteren Picknick-Pionier gab: 1903 ließ sich der deutsche Glasbläser Reinhold Burger eine Isolierflasche mitsamt Trinkbecher patentieren, die damals noch mit einem Korkverschluss ausgestattet war. High-Tech ist allenfalls unsere wasserdichte Picknickdecke, die sich so klein zusammenfalten lässt, dass sie sogar in die Hosentasche passt.

Aus einem Sicherheitsabstand von weit über 1,5 Meter Entfernung prosten weitere Picknick-Pilger den neuen Nachbarn zu. Das ist trotzdem bedeutend weniger als die sichere Entfernung, die Freunde des Freilicht-Schmausens aus aller Herren Länder etwa zum Schlachtfeld an der Krim einhielten, wo die Türken zwischen 1853 und 1856 mit ihren Verbündeten Frankreich und Großbritannien im ersten modernen Stellungskrieg gegen Russland kämpften. Mit Fressalien und Feldstecher ausgerüstet amüsierte man sich seinerzeit ausgiebig am Rande des blutigen Spektakels. „Die Damen genossen das Vergnügen sehr“, schwärmte Captain Robert Portal vom Vierten Leichten Dragoner-Regiment in einem Brief an seine Schwester.

Uns reicht der Nervenkitzel, den dunkle Wolken hervorrufen, die am frühen Nachmittag aufziehen. Doch der Schampus entfaltet seine beruhigende Wirkung. Das Essen hat tatsächlich anders geschmeckt als daheim, irgendwie aromatischer, jetzt, wo man den Gaben von Mutter Natur so viel näher war als sonst. Und erst der Mut, sich ohne Heizpilz, ohne schützenden Schirm, ja ohne die Möglichkeit, einen Kellner herbeirufen zu können, so weit an den Rand der Zivilisation zu wagen. Das ist… nennen wir es Haltung.

Der harte Boden, die Schweißausbrüche, wenn die Sonne ab und zu doch sengte, die Blätter, die auf die angebotenen Blätterteig-Pasteten segelten, die Fliegen und der im Gegensatz zum Hinweg irgendwie doppelt so lange Rückweg? Je weiter das alles zurückliegt, desto mehr verblasst die Erinnerung an solche Nebensächlichkeiten.

Es war toll.

Text: Martin Bewerunge

Quelle: Rheinische Post vom 11. September

Düsseldorf Der Architekturfotograf Marcus Schwier hat die menschenleere Stadt in dieser außergewöhnlichen Zeit porträtiert. Seine Bilder versteht er auch als Dokumente der Zeitgeschichte.

Corona Krise Düsseldorf Altstadt
Altstadt Düsseldorf, Stillleben | Photo Marcus Schwier

So eine menschenleere Stadt sei ideal für jemanden wie ihn, sagt Marcus Schwier. Er ist Architekturfotograf und bewegt sich zurzeit mit Kamera und Stativ durch Düsseldorf. Und hält einen Zustand fest, den er so noch nie vor der Linse hatte. Ein Flughafen, durch den er alleine streift, da nur drei Flüge auf der Anzeigetafel stehen. Die Königsallee, auf der niemand mehr vor Gucci oder Louis Vuitton Schlange steht. Die Düsseldorfer Altstadt, in der alle Restaurants und Bars geschlossen sind, und niemand betrunken und grölend durch die Bolkerstraße läuft. „Städte sind für den Menschen gemacht, sie lebten von Aktivitäten und Angeboten. Im Moment hat sie, bis auf das Wohnen, keine Funktion mehr“, sagt er.

Beim Fotografieren mache Schwier sich auch immer Gedanken über das Objekt, über die Situation. Und nun sei es an der Zeit, Stadträume als urbanes Ensemble zu hinterfragen. Wenn er Außenräume – also Landschaften – fotografiert, versucht er, die Beziehung von Mensch und Natur mit einfließen zu lassen: „Mich interessiert, wie sich beides beeinflusst“, sagt er.

Räume haben ihn schon immer interessiert. Nach dem Studium der Architektur lernte er von 1993 bis 1998 an der Kunstakademie Düsseldorf bei Ernst Kasper mit dem Schwerpunkt Fotografie. Nach seinem Abschluss war er viel unterwegs, reiste unter anderem nach Island, in die Vereinigten Staaten und nach Grönland.

„Ich habe auf allen Kontinenten fotografiert“, sagt er. Für seine Architekturaufnahmen in Metropolen auf der ganzen Welt ist er auch international bekannt.

Mit seinen „Stadtporträts“ ist er viel in Deutschland unterwegs. Städte wie Ravensburg und Fürth laden ihn ein, das Äußere, also vor allem die Architektur, und das Innere, die Menschen, mit dem Blick eines Fremden einzufangen. Anschließend werden die Fotografien in Kunstmuseen und Galerien ausgestellt. Auch für seine Heimatstadt Düsseldorf hat er ein Stadtporträt erstellt und dafür Fotografien der vergangenen 30 Jahre ausgestellt. Seine neuen Fotografien des irritierend menschenleeren Flughafens und der Alt- und Innenstadt seien eine Erweiterung dessen: „Mir ist es wichtig, die Stadt in diesem außergewöhnlichen Zustand festzuhalten“, sagt er.

Schließlich seien seine Fotografien immer auch ein Dokument ihrer jeweiligen Zeit. Die Menschen würden den Ist-Zustand oft einfach hinnehmen – wie ausverkauftes Klopapier, leere Gassen und Masken. Die seien nichts Besonderes mehr. „Wir müssen das festhalten, sonst vergessen wir, wie es wirklich war“, sagt Schwier. Beeinflusst ist er von den Traditionen Stanley Kubricks, der lange als Fotograf arbeitete, bevor er als Regisseur weltberühmt wurde. Kubrick sei immer ans technisch maximal Machbare gegangen, habe vieles ausprobiert und nach den Worten Schwiers so eine neue Bildästhetik geschaffen.

Bestes Beispiel sei der Film „Barry Lyndon“, der wohl ästhetischste Filme des Regisseurs. Die Innenaufnahmen wurden nämlich ausschließlich mit Kerzenlicht beleuchtet. Auch Schwier experimentiert viel, indem er beispielsweise ein neues Objektiv auf eine alte Kamera setzt oder Equipment nutzt, das nicht frei verkäuflich ist, Spezialkameras für Forensiker und Wissenschaftler zum Beispiel. Wie bei Kubrick sind auch seine Fotos nicht retuschiert oder bearbeitet, Nachbearbeitung findet er lästig: „Das ist für mich so wie der Abwasch, nachdem ich etwas Fantastisches gegessen habe“, sagt er. Deswegen stellt er seine Kamera so ein, dass seine Fotos aussehen, wie er sie sich vorstellt. Wichtig sei dabei auch das Ungestellte, Spontane: „Ich fotografiere das, was ich vorfinde“, sagt Marus Schwier. Eben auch ein unbelebtes Düsseldorf.

Band Seine Fotografien der Stadt hat Marcus Schwier in der Architektenkammer NRW und der Kunsthalle Düsseldorf ausgestellt und in einem Buch zusammengefasst: „Marcus Schwier: Düsseldorf“  zeigt  unter anderem das Rheinstadion und die Etablissements an der Rethelstraße. Das Buch ist erhältlich unter 
www.grupello.de.

Auszeichnung Für seine Aufnahmen erhielt er den Kunstpreis der DZ-Bank.

Infos zum  Fotografen auf seiner Homepage: 
www.marcusschwier.net

Quelle: Rheinische Post vom 19.04.2020

Text: Janina Esau

MARCUS SCHWIER: DÜSSELDORF bei Duesseldorf Photo

Architektenkammer NRW, Haus der Architekten

17. Februar 2018 bis 30. April 2018

Zollhof 1  | 40221 Düsseldorf

Künstlergespräche:

Dienstag 20.02.2018 um 18.00 Uhr

Dienstag 10.04.2018 um 18.00 Uhr

MARCUS SCHWIER: DUESSELDORF
Rheinstadion 2001, Photo Marcus Schwier

MARCUS SCHWIER: DUESSELDORF
Rheinstadion 2001, Photo Marcus Schwier

MARCUS SCHWIER: DUESSELDORF
Rheinstadion 2001, Photo Marcus Schwier

 

Vom 16.02. – 25.02.2018 findet erstmals Duesseldorf Photo statt. An dem neuen Festival unter der Schirmherrschaft von Oberbürgermeister Geisel sind neben dem veranstaltenden NRW-Forum u.a. Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen K21, die Düsseldorfer Kunstakademie, KAI10, Haus der Architekten beteiligt. Das Event ist bereits als einer der größten Fotofestival Deutschlands angekündigt. Marcus Schwier zeigt hier aus seiner Serie von Stadtportraits: MARCUS SCHWIER: DÜSSELDORF

Eine Stadt ist ein lebender Organismus, der einem kontinuierlichen Wandel unterliegt. Oftmals geschieht dieser – wie beim Menschen auch – kaum merklich. Und erst, wenn man mit einigen Jahren Abstand erneut zusammentrifft, treten Unterschiede zu früheren Altersstufen deutlich hervor.

Der Fotokünstler Marcus Schwier, der in Düsseldorf lebt und arbeitet, ist bekannt für seine Architekturaufnahmen in Metropolen auf der ganzen Welt. Seine Werke sind regelmäßig in Ausstellungen und Architekturfachzeitschriften zu sehen. Die Verortung, das Ortspezifische, Heimat und Zugehörigkeit sind für Schwier neben dem Raum konstitutive Komponenten seiner Arbeit. Die Reduktion auf das Wesentliche kennzeichnet immer wieder auch die Serien, die Marcus Schwier in seiner Geburtsstadt Düsseldorf angefertigt hat – und die er thematisch oftmals an anderen Orten fortführt.

In seiner Ausstellung MARCUS SCHWIER: DÜSSELDORF stellt der Künstler Fotoreihen zusammen, die – in der Rückschau – wichtige Entwicklungsschritte der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt zeigen. Zugleich präsentiert Marcus Schwier neue Werke, die eigens für die Ausstellung im Haus der Architekten entstanden sind. Die Bilder künden in gleicher Weise vom Verschwinden (Studienhaus, Rheinstadion) wie vom Werden. Sie zeigen Momentaufnahmen des urbanen Wandels einer Großstadt, die zugleich Zeitreise und in der Zusammenschau Zeitraffer sind. Zu sehen ist das Kaleidoskop einer Stadt.

Die Rheinische Post berichtet am 20.02.2018 | Lothar Schröder

Das also ist unsere Stadt Düsseldorf. Die Schau von Marcus Schwier in der Architektenkammer ist ein spannendes, irritierendes, unvollkommenes Porträt von Düsseldorf.

Diese Fotos sei nicht mit Hilfe einer Drohne entstanden, so Marcus Schwier. Unaufgefordert sagt er das. Weil bei extremen Vogelperspektive heute jeder gleich an diese surrenden Fluggeräte denkt. Wie aber sonst gerieten die Sonnenhungrigen auf den Rheinwiesen Düsseldorfs in das waghalsige senkrechte Blickfeld des Fotografen? Ganz einfach (oder eben auch nicht so einfach): Mit der Hilfe eines zehn Meter messenden Hochstativs. Eigentlich wollte Schwier Liegende nur eine Woche porträtieren. Dann ist daraus ein ganzer Sommer geworden, der Sommer 2010, in dem die Serie „roundabout straight ahead“ entstand.

Diese Bilder, auf kleinen Podesten ruhend und darum praktisch auf dem Boden liegend, sind das Entrée zur neuen Ausstellung, die ganz einfach so heißt, wie das, was sie zeigt: „Düsseldorf“. Dass die Architektenkammer NRW im Medienhafen eigentlich nicht als Ausstellungshaus konzipiert ist, wird diesmal zum Glücksfall. Denn die hohe, über vier Stockwerke reichende Betonwand im Atrium erweist sich als grandiose Präsentationsfläche. Mit Hilfe von Fassadenkletterern hat Schwier eine gelungene Komposition gefunden: am Boden die Rheinwiesen-Lieger, dann zwei mächtige Bilder des alten Rheinstadions von 2001. Natürlich ist die weite Arena-Schüssel imposant. Der besondere Effekt aber entsteht durch den Infrarot-Film. Ein gleißendes Licht flutet die Arena, und obwohl diese menschenleer ist, scheint der Glanz einstiger Erfolge sichtbar zu werden. An diesem leeren Ort wurde gefeiert und gelitten, gejubelt und getrauert. Noch einmal erinnert dieser Glanz an eine große Vergangenheit, und kündet doch von einer endlichen Zukunft. Wer will, kann in diesen Bildern so etwas wie eine existenzielle Einsamkeit erfahren.

Der Treppengang durchs Haus wird zu einem Weg aufs Dach der Stadt – bis schließlich vom Dreischeibenhaus Blicke auf die Innenstadt fallen, ins dunstige Licht und auf eine Bebauung, die diffus am Horizont im Nichts endet. Eine markante Hochhausbebauung scheint zu fehlen. Stattdessen sieht man den Tausenfüßler da unten, der sich wie eine elegante Schlange seinen Weg zwischen den Häusern zu suchen scheint.

Die Fotos sind über einen Zeitraum von zwei Jahrzehnten entstanden. Sowohl für eine vitale Stadt als auch für die Entwicklung der Fotografie und unserer Wahrnehmung sind das Welten. Alles ist im Wandel, viel in Bewegung. Erinnerung an das, was man Beständigkeit nennen könnte, sind die Fenster-Bilder von Schloss Benrath, die den Besucher auf jeden Treppenabsatz begrüßen. Fast wie ein Gemälde, ein wenig Klassik. Ein zeitloser Trost.

Marcus Schwier ist für diese künstlerische Dokumentation der Stadt ein vielfach Prädestinierter: Er ist 1964 in Düsseldorf geboren, hat dort zunächst Architektur und schließlich bei Ernst Kasper und Erwin Heerich auch an der Kunstakademie studiert. Er bringt neben der Vertrautheit zur Stadt also zwei wichtige Eigenschaften mit: den Blick für die Bedeutung eines Bauwerks und die Freiheit, darin mehr zu sehen als Architektur.

Die Liegenden auf den Rheinwiesen wirken da wie Fremdkörper – aber nur auf den ersten Blick. Denn irgendwann erkennt man, wie geometrisch die verschiedenen Decken zueinander liegen, welche Anordnungen auf den Liegewiesen oft gestaltet werden. Wie Grundrisse von Wohnungen sieht das aus, so Schwier. Dort die Alten, da die Kinder, daneben die Verpflegungstaschen undsoweiter. Die Architektur der Stadt findet sich überall dort, wohin man sieht. Vielleicht, weil wir nach Strukturen suchen und streben. Marcus Schwier hat für uns ungewöhnliche und unerwartete entdeckt.

Wer darum nicht diese sehr ans Herz gelegte Foto-Ausstellung besucht, muss krank, im Urlaub oder Kölner sein.

 

 

Ein Tag im Sommer – Der Düsseldorfer Fotograf Marcus Schwier hat eine Serie, aus der dieses Bild stammt „Roundabout and Straight Ahead“ genannt.

Erstmalig wurde diese Serie im Künstlerverein Malkasten in Düsseldorf gezeigt.

Rheinische Post vom Samstag, 23. Juni 2012 – Nr. 144 / Rheinische Post  / das magazin

 

„Roundabout & Straight Ahead“

Die Rheinwiesen – von oben

VON KERSTIN ARTZ – 16.09.2011 – Rheinische Post

Düsseldorf (RP). Der Düsseldorfer Fotokünstler Marcus Schwier stellt derzeit im Malkasten aus. Unter dem Motto „Roundabout & Straight Ahead“ präsentiert er Fotografien von Menschen, die auf den Rheinwiesen entspannen.

Die Rheinwiesen in Düsseldorf - Vogelperspektive
Roundabout & Straight Ahead, Marcus Schwier

Perfekt in der Mitte des Bildes drapiert liegt das Mädchen mit der Sonnenbrille, ein bezauberndes Lächeln auf den Lippen, eine anmutige Körperhaltung, die vollkommene Entspannung ausdrückt. Um sie herum drei Freunde – lesend, träumend. Diese Fotografie sieht so perfekt aus, dass man sich kaum vorstellen kann, dass sie zufällig entstanden ist. „Ich habe keines der Motive verändert“, sagt Marcus Schwier. „Ich habe die Leute lediglich gefragt, ob ich sie fotografieren darf – so wie sie sind.“

Das Ergebnis ist eine Serie von zwölf Bildern, die derzeit im Künstlerverein Malkasten ausgestellt ist. Schwier hatte schon seit acht Jahren die Idee, von oben zu fotografieren. „Zuerst habe ich Blumen aufgenommen, aber das war langweilig.“ 2010 setzte er die Idee dann um, indem er Besucher der Rheinwiesen in Düsseldorf mit einem Hochstativ ablichtete. Damit die Fotos eine gewisse Schwerelosigkeit erhalten, dreht Schwier sie für die Präsentation „falsch“ herum. Die Füße zeigen nach oben, die Schatten ebenfalls. „So werden die Bilder absurd und verwirrend.“

Besonders interessant findet Schwier die Dinge, die er erst im Nachhinein auf den Abzügen erkennt: Hier eine Getränkeflasche, da eine Packung Kaugummis. Dank einer besonders hochauflösenden Kamera, erhält der Betrachter Einblicke in das Leben der Abgelichteten, die im Vorübergehen verborgen bleiben. „Da sieht man dann auch, dass es bestimmte Farben gibt, die sich wiederholen“, sagt er. Wie bei einem Mädchen, das ein pinkes T-Shirt trägt – und ihr ebenfalls pinkfarbenes Fahrrad neben sich ins Gras gelegt hat.